Eigene Traktate
Hier finden Sie Texte aus eigener Feder. Geschrieben sind diese zu unterschiedlichen Anlässen, mal kurz und bündig, mal etwas länger.
Vielleicht finden sie etwas inspirierendes für sich…
Hier finden Sie Texte aus eigener Feder. Geschrieben sind diese zu unterschiedlichen Anlässen, mal kurz und bündig, mal etwas länger.
Vielleicht finden sie etwas inspirierendes für sich…
(Ein Impuls zur Nacht der offenen Kirche anlässlich des Überlinger Promenadenfestes am 20. Juli 2024)
Wir wollen gemeinsam hier im Überlinger Münster an diesem Abend ein Fest feiern, freilich ein etwas anderes Fest als es draußen stattfindet. Das Wort „Feier“ ist aus dem lateinischen Wort feriae abgeleitet und bedeutet ursprünglich „Tage, an denen keine Geschäfte vorgenommen werden.“ Wenn wir feiern, ruhen also unsere alltäglichen Verpflichtungen, wir lassen alles los, was uns tagaus und tagein so beschäftigt. Vielleicht waren Sie schon draußen auf dem Promenadenfest und haben ungezwungen gefeiert, gegessen, getrunken, Musik gehört, Freunde und Bekannte getroffen; vielleicht lassen sie sich aber auch berühren von einer anderen Art des Feierns – hier mit uns im Münster. Diese Feier ist ein geistiges und geistliches Fest, ein Fest der Besinnung und der Einkehr, ein Fest des Innehaltens und des Hörens auf etwas, das größer ist als wir.
Dazu laden wir ein. Wir wollen den Tag also festlich ausklingen lassen mit einigen Geleitworten zur Stille, meditativen Liedern und schließlich haben wir die Gelegenheit, in Stille zu uns zu kommen und in Gott einzukehren. Um 21:45 Uhr treffen wir uns dann wieder und wir wollen dann gemeinsam in Wort und Lied das Abendgebet vollziehen und -wer möchte- kann eine Kerze anzünden.
Einführung in das Thema Stille
Woran denken wir, wenn wir gefragt werden, was uns eigentlich fehlt im Leben? Zeit und Stille – in unserem Leben ist es oft gerade das, was uns fehlt. Wir beklagen das stets aufs Neue: hätten wir doch endlich einmal mehr Zeit für uns … Warum ist das so? Wir leben in einer schnelllebigen Zeit, es passiert für uns einfach viel mehr als für die Menschen früherer Jahrhunderte und verlangt unsere Aufmerksamkeit; bewusst erlebte Stille gibt es kaum noch.
Wir sind daran gewöhnt, tätig zu sein, Leistung zu bringen, Ziele zu erreichen, unser Leben aktiv zu gestalten. Wir wollen ja mitten im Leben stehen, wir wollen das pralle Leben mit beiden Händen ergreifen, wir wollen nichts versäumen, „dabei sein“ ist uns wichtig. Unser Tag ist daher häufig von Terminen bestimmt oder sogar durchgetaktet, beruflich wie privat.
An manchen Tagen sind wir dabei rastlos. Reisen und Unterwegs-sein, Leute treffen, Gesellig-sein und Mitreden-können sind selbstverständlich, und wir wissen doch auch, es wird dann oft laut und hektisch. Und wir wissen ebenso: unsere vielfältigen Ansprüche, Wünsche und Bedürfnisse verlangen Aufmerksamkeit und saugen Zeit auf. Denken Sie einmal nach, wie sehr ihr eigener Tag von solchen zeitfressenden Terminen bestimmt ist und wie wenig Zeit Ihnen eigentlich für die innere Einkehr in sich und Gott bleibt.
So wollen wir uns gerade in dieser Stunde des Übergangs vom Lärm des Tages in die Nacht ganz bewusst diesem Gewohnten entziehen und Innehalten und Verweilen und uns Zeit nehmen für uns und Gott.
„Reden schafft Lärm
Schweigen schafft Stille
Stille ist Fülle. Worte nur Hülle.“
Stille ist Fülle; so sagt es uns die Dichterin Mascha Kaleko.
Die Stille ist ein kostbares Kleinod, ein wertvoller Juwel. Wenn wir uns ihr wirklich ganz und gar hingeben, spüren wir, dass wir nicht ins bodenlose fallen, ins Nichts, ins langweilig Leere. Sondern wir empfinden Etwas, das wir nie und nimmer im Alltag wahrnehmen können, etwas, das außerhalb der Stille immer übertönt bleibt. Wir können hierin in eigenartiger Weise aufatmen, wir spüren einen frischen Geist, wir fühlen uns der Quelle allen Lebens nahe. Das bedeutet, was in Worten nur schwer fassbar ist: Stille ist Fülle.
Jetzt sind wir gerufen, diese Stille nicht zu übertönen. Auch die gesungenen Lieder und gesprochenen Worte stehen nicht für sich, sondern leiten -im Verklingen- über in diese Stille, in ihre je eigene und persönliche und immer wieder neu erfahrbare, Stimme und Musik begleiten uns, verstummen und entlassen dann jeden in seine ganz eigene Erfahrung der Ruhe.
In ihr erschließt sich uns ein Raum, in dem wir uns selbst finden können. Ein Raum, in dem wir Gott finden können. Sie kann auch eine Gelegenheit sein, dass wir verwandelt werden. Jede wesenhafte und tiefgehende Veränderung in unserem Leben gründet in der Stille. Der Ruf: „du musst dein Leben ändern“, kommt nicht von außen, sondern immer aus diesem Inneren, aus der Ruhe des eigenen Seins.
Dies ist das Eigenartige: wer heute in tausendfachen Aktivitäten hängt, dem vergeht die Zeit rasend schnell, der ist vielleicht auch glücklich darin, was er tut. Der tut vielleicht auch etwas sinnvolles und Gutes. Das ist keine Frage. Aber er verpasst etwas Wesentliches und unbedingt Schönes, er kommt nämlich dem Geheimnis des Lebens kein bisschen näher. Das öffnet sich nur demjenigen ein Stück weit, der Hören kann, der sich ganz konzentriert auf das, was sich ihm in der Stille zuspricht. Stille ist Fülle.
Das Geheimnis des Lebens ist kein Kreuzworträtsel, dass ich lösen kann, wenn ich es nur lange und mit Ausdauer betreibe. Hier gibt es nichts zu lösen. In der Stille spricht sich uns nichts zu, was wir eindeutig in Worte fassen können, nichts, was wir als festes Wissen haben können, nichts, was sich so einfach als Gegenstand einer Plauderei eignet. Rilke sagt in einem seiner frühen Gedichte:
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.
Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.
Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.
Demgegenüber werden wir in der Stille eine ganz eigenartige Erfahrung machen, vielleicht die Dinge zum Singen und Tanzen bringen, Gott nahe kommen, ohne dies recht in Worte fassen zu können – aber wir wissen, dass es diese Erfahrung gibt und dass sie das Wesentliche und Eigentliche unseres Lebens ist.
Geben wir uns hinein in die Stille. Bleiben wir nicht im Lärm des Tages hängen, verfangen wir uns nicht darin, lösen wir uns von dem oft nur Oberflächlichen und kommen wir in die Nähe des Geheimnisses des Lebens. Hier findest du dich, dein wahres Selbst. Frieden. Und du findest Gott.
In Anbetung schweigen wir vor Gott und begegnen ihm in der Stille:
Schweigen vor dem Herrn
ist mehr als nichts tun
es ist
sich ihm zuwenden
schweigen vor dem Herrn
ist mehr als nicht sprechen
es ist
hören
schweigen vor dem Herrn
ist mehr als leer werden
es ist
sich erfüllen lassen.
Nach der stillen Anbetung um 20 Uhr und der Einkehr in die Stille wollen wir nun den Abend im Überlinger Münster beenden mit dem Abendgebet.
Hierzu möchte ich einleiten und mich dabei anlehnen an einen Text über den großen, 2021 verstorbenen, polnischen Lyriker Adam Zagajewski, aus dem Feuilleton der FAZ von heute, Samstag, den 20. Juli.
Dieser Artikel behandelt genau das uns heute Abend auch bewegende Verhältnis von Schweigen und Werk, Stille und göttlichem Zuruf und der daraus geschöpften Handlung. Für Zagajewski gibt es das Göttliche und Gott, eine Schicht der Wirklichkeit, sie sich nur bisweilen ein wenig enthüllt, „jenes Element der Welt, aus dem der Glanz, das Licht kommt.“
Das Göttliche entspringe einer meditativen Konzentration im Schweigen, die der ein oder andere Abend vielleicht erlebt hat, eine Konzentration, die nicht erzwungen werden kann, die sich zuweilen einstellt und dann wahr- und aufgenommen werden muss.
Zitat von Adam Zagajewski: „Vor dem Schreiben eines Gedichtes steht normalerweise ein tiefes Schweigen. Aus diesem entsteht das Gedicht. Dieses Schweigen ist potentiell etwas Berauschendes, etwas, das die Welt viel tiefer erfasst als das Gedicht selbst, das aus ihm erwächst.“ In diesem Rausch des Schweigens und der Stille lässt uns Gott teilhaben an seinem Geheimnis und gleichzeitig lässt er nur zu, dass wir im Reden darüber schattenhaftes zustande bringen. Immerhin. Gott will nicht zerredet werden. Wir denken zurück an die Worte von Mascha Kaleko von vorhin: Stille ist Fülle.
Martin Kasperzyk, 20. Juli 2024