Eigene Traktate
Hier finden Sie Texte aus eigener Feder. Geschrieben sind diese zu unterschiedlichen Anlässen, mal kurz und bündig, mal etwas länger.
Vielleicht finden sie etwas inspirierendes für sich…
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Gibt es Wunder?
Fragen Sie einmal ihre Bekannten – sie werden erstaunt sein, dass die meisten Menschen sagen werden: „ja, ich glaube an Wunder“.
Laut einer repräsentativen Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach im Jahre 2006 antworteten auf diese Frage 56 Prozent der Befragten mit „ja“. Der Glaube an Wunder hat damit in den letzten Jahrzehnten sogar stark zugenommen, während der christliche Glaube in der gleichen Zeit stark abgenommen hat.
Dies ist erstaunlich, denn angesichts der Vorherrschaft des naturwissenschaftlichen Denkens in der Neuzeit stellt sich die Frage, inwiefern man neben der naturwissenschaftlichen Wahrheit heute noch überhaupt an Wunder oder gar religiöse Wunder glauben kann. Prägnant formulierte diese Frage der Theologe Rudolf Bultmann (1884-1976): „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testamens glauben.“
Offenbar ist der Begriff des Wunders nicht eindeutig an den christlichen Glauben gebunden, sondern er gehört zur Alltagssprache und wird oft sehr unspezifisch gebraucht. Entgegen der These von Bultmann benutzen die Menschen heute gleichzeitig die modernen Techniken und haben keine Schwierigkeiten, gleichzeitig trotzdem immer mehr an Wunder zu glauben.
Dies bildet sich in den Medien ab, in denen Wunderberichte einen großen Platz einnehmen. Man spricht zum Beispiel heute immer noch von dem Fußballwunder von Bern 1954 als Deutschland als krasser Außenseiter im Endspiel Ungarn besiegte und Fußballweltmeister wurde. Von Wundern wird oft in Zusammenhang der Rettung von Menschen aus aussichtsloser Lage berichtet: „Wunder in Südafrika – Arbeiter nach fünf Tagen aus Trümmern gerettet“. Wunder werden auch von Medien aufgegriffen, wenn es um medizinische Ereignisse geht, die nicht erklärbar scheinen. Hier sind zum Beispiel Nahtoderfahrungen zu nennen oder Heilungen von Krankheiten, die medizinisch nicht erklärt werden können. Man kann geradezu von einer Inflation des Wunderbegriffs sprechen, wenn man sieht, dass auch in der Werbung gerne damit gearbeitet wird: „ein wahres Wundermittel zum Abnehmen.“
Wunder sind scheinbar unerklärbare Ereignisse und daher extrem selten, sie fesseln daher sofort unsere Neugier und Aufmerksamkeit und Medien auf der täglichen Suche nach Neuem greifen dann gerne die Wundergeschichten auf. Die genannten Beispiele zeigen, dass „Wunder“ meist mit subjektiven und positiven Emotionen verbunden sind. Menschen lieben Wunder, weil sie unberechenbar, überraschend sind und uns staunen lassen.
Wo bleibt da die Religion?
So gesehen haben Wunder erst einmal gar nichts mit Religion zu tun. Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit, denn Wunder kommen auch immer wieder in religiösen Zusammenhängen vor. Unter der Annahme, dass Gott selbst das Wunder vollbracht hat, bekommt das Wunder eine religiöse Bedeutung.
So wird von einem der am meisten besuchten Wallfahrtsorte Lourdes immer wieder von Wundern berichtet, etwa medizinisch nicht erklärbare Heilungen, die von der Kirche nach einer eingehenden Untersuchung auch anerkannt werden. Solche religiösen Erfahrungen verweisen darauf, dass die rational erklärbare Realität nicht die ganze und allein gültige Wirklichkeit ist. Religiöse Wundergeschichten überwinden die einengende naturwissenschaftliche Sichtweise, die eben nicht alles erklären kann. So gesehen, gibt es eine „Wahrheit“ der Wunder, die mit dem Verstand nicht messbar ist.
Neben diesen Wunderheilungen gibt es aber auch weniger „spektakuläre“ Wunder, die den Menschen eher unscheinbar begegnen oder im Verborgenen stattfinden, sie treten plötzlich im eigenen Leben auf und berühren den betroffenen Menschen so intensiv, dass sie zu einer völligen Änderung des bisherigen Lebens führen können: z.B. ein Manager ändert von heute auf morgen sein Leben und tritt ins Kloster ein oder: jemand gibt hier sein wohlsituiertes bisheriges Leben auf, um armen und bedürftigen Menschen in Entwicklungsländern zu helfen. Solche lebensverändernden Geschehnisse kommen aus dem Nichts und sind wundergleich nicht erklärbar, sie berühren uns deshalb, weil wir diese Erfahrungen bei anderen immer auch auf unser eigenes Leben und den Sinn, den wir unserem eigenen Leben geben, zurück reflektieren.
Kann man also an Wunder im religiösen Sinne glauben? Ja, Menschen können und tun es. Wunder als Winke Gottes halten den Glauben daran wach, dass noch nicht heraus ist, was sein wird bzw. was wir sein werden (1. Joh 3,2). Sie verweisen uns darauf, dass wir nicht alles rational beherrschen und im Griff haben, sondern in jeder Sekunde unseres Lebens einem unverfügbaren Gott unterstehen, der die Macht hat, alles mit einem Schlage zu ändern.
Im Wunder offenbart sich uns Gott als unergründliches Geheimnis und wir sind aufgefordert, uns dieser Wahrheit zu öffnen. In ihm bewahrheitet sich die Allmacht Gottes, ein Wink, dass es eine unsichtbare und unbegreifliche Welt gibt. Im Wunder zwingt uns Gott zu nichts, sondern überlässt es jedem Einzelnen in Freiheit daran zu glauben oder nicht.
Martin Kasperzyk im April 2025