Eigene Traktate
Hier finden Sie Texte aus eigener Feder. Geschrieben sind diese zu unterschiedlichen Anlässen, mal kurz und bündig, mal etwas länger.
Vielleicht finden sie etwas inspirierendes für sich…
Hier finden Sie Texte aus eigener Feder. Geschrieben sind diese zu unterschiedlichen Anlässen, mal kurz und bündig, mal etwas länger.
Vielleicht finden sie etwas inspirierendes für sich…
Das Licht der Welt:
Erleben Sie dieses Jahr eine echte Weihnachtsfreude, können Sie sich mit allen Sinnen auf die Frohe Weihnachtsbotschaft vorbereiten? Oder verlieren sie sich im Trubel, in Hetze und Stress? Leiden gar Angehörige von Ihnen, leiden sie selbst unter einer Krankheit oder haben sie erst vor kurzem einen lieben Menschen verloren? Weihnachten gibt es nicht deswegen, damit wir uns alle von der schönsten Seite zeigen und für ein paar Tage eine heile, idyllische Welt haben. Nein, zu Weihnachten steht die Welt mit all ihrer Banalität und ihrem Leid nicht still, aber dieses Fest setzt trotz allem dem Dunkel in unseren Herzen und in der Welt etwas entgegen. Nämlich ein beeindruckendes Licht, das mit Weihnachten in dieser Welt aufleuchtet.
Gott (den die Griechen des Altertums theos, der Blickende, nannten) selbst ist es, der auf uns schaut und der in seinem Blick ein Licht anzündet, in dem er ins Dunkel der Welt leuchtet und das erscheinen lässt, was gewöhnlich unseren Augen verborgen ist. Erfassen wir im Kerzenlicht nicht einfach nur irgendein Licht inmitten der Dunkelheit dieser Jahreszeit, sondern den Lichtglanz Gottes, seinen Anblick auf uns. Dann bedeutet es Hoffnung, Orientierung, Wärme, Freude und Jubel. Gottes Licht ist beim ersten Weihnachten bereits für uns angebrochen. Es liegt an uns, es zu sehen und weiterzutragen.
„Vier Kerzen“ von Rainer Maria Rilke:
„Vier Kerzen
eine Kerze für den Frieden,
weil der Streit nicht wirklich ruht.
Für den Tag voll Traurigkeiten
eine Kerze für den Mut.
Eine Kerze für die Hoffnung
gegen Angst und Herzensnot,
wenn Verzagtsein unseren Glauben
heimlich zu erschüttern droht.
Eine Kerze, die noch bliebe,
als die wichtigste der Welt;
eine Kerze für die Liebe,
weil nur diese wirklich zählt.“
Aufbruch:
Wir sind am Ende der Adventstage und freuen uns auf Weihnachten. Aber wo bleibt der adventliche Ruf, wo ist heute das Beben eines neuen Anfangs zu vernehmen? Erinnern wir uns: die Zeit der Perestroika in der Sowjetunion, die Anfänge der Solidarnosc in Polen, die deutsche Wiedervereinigung, Nelson Mandela in Kapstadt, Martin Luther Kings Marsch nach Washington. Das erschütterte die Welt in einem guten Sinne, eine neue und bessere Zeit brach an. Und heute? Schauen Sie sich in der Welt um, finden wir noch solche hoffnungsfrohen Zeichen angesichts all der schlechten Entwicklungen um uns herum? Aber auch wenn die Zeiten düster zu sein scheinen, es bleibt doch unsere ungeheure Sehnsucht nach dem Guten.
Oh, diese Sehnsucht, anfangen zu können, und immer alle diese versperrten Wege. Oh, dieser Wunsch nach einem Neuanfang, und immer die Bedenkenträger, die am liebsten alles so lassen wollen, wie es ist. Oh, dieser Wille Neues zu wagen, und immer die Mutlosigkeit angesichts all dieser Wände um uns herum.
Nein, trotz alledem müssen wir unsere Sehnsucht und unseren Mut auf Veränderung bewahren, unbedingt! Und gerade die adventliche Zeit ist auch eine Zeit, es zu wagen: die verschlossenen Türen kräftig aufzustoßen, damit frischer Wind in unsere wattierten und beschaulichen Stuben einströmen kann, damit wir zum Umdenken gebracht werden und neues Denken wachsen kann. Diese Hoffnung auf Veränderung gehört zum Advent dazu, auch hier und heute.
Der Dichter Rainer Maria Rilke ruft uns in seinem Sonett Archaïscher Torso Apollos zu: „du musst dein Leben ändern!“ Für ihn ist der Mut zum Aufbruch, zum Aufbruch in ein Land der Sehnsucht und Verheißung existenziell. An uns liegt es, ob wir diese Einladung annehmen. An uns Christen liegt es, ob wir dem weihnachtlichen Geheimnis der Menschwerdung Gottes in unserem Alltag Raum geben, ob wir Gott in unserem Alltag leben. Der Theologe Karl Rahner hat es einmal so ausgedrückt: „ich habe gearbeitet, habe geschrieben, doziert, meine Pflicht zu tun, mein Brot zu verdienen gesucht. Ich habe in dieser üblichen Banalität versucht, Gott zu dienen. Fertig.“ Können wir das von uns auch sagen?
Wenn wir Gottes Sein in unserem Alltag leben, wenn wir das schaffen, dann wird unser Alltag sinnvoll, verzaubert und wertvoller. Denn alles, was mehr aus uns macht, als wir bisher waren, ist gut und recht. Jede Steigerung ist gut, wenn sie Freude ist. Freude ist unsäglich mehr als Glück, Glück bricht über die Menschen herein, Glück ist Schicksal, Freude aber bringt uns zum Blühen, Freude ist das Äußerste, was die Menschen in ihrer Macht haben. Mit Gott im Alltag wachsen wir über die eigentlich läppischen Dinge, die uns oft so sehr fesseln, hinaus, soweit es geht. Die äußerste Möglichkeit, die wir in uns tragen, kann so zum Maßstab unseres Lebens werden. Denn unser Leben ist groß, und es geht so viel Zukunft hinein, als wir tragen können. Gott will, dass wir das Leben in all seinen Möglichkeiten wirklich zulassen, manches Heil könnte so zur Welt gebracht werden – durch uns selbst.
Warten auf die Ankunft Gottes:
Advent bedeutet auch, sich auf das Geheimnis der Menschwerdung Gottes einzulassen. Wer das Geheimnis von Weihnachten verstehen will, der braucht den Advent, der braucht die Zeit in der wir eingeladen sind, das Ungeheuerliche zu empfangen. Es ist keine Wartezeit, in der die Zeit bis Weihnachten irgendwie überbrückt werden soll, sondern es ist eine geheimnisvolle und zauberhafte Zeit des Erwartens. Es ist die erregende Zeit des noch unerfüllten, noch verhüllten Geschenkes.
Wir erwarten und erhören und geben uns nicht zufrieden mit dem, was hier und jetzt ist, wir strecken uns aus zu dem hin, was noch nicht ist, aber was sein wird. Wir staunen und sind wach, das Unsagbare zu hören, dem Unglaublichen zu vertrauen. Ein Gott, ein Gott, den wir glauben, wird Mensch. Da liebt uns ein Gott so sehr, dass er selbst Mensch wird. Da macht sich ein starker, großer, allmächtiger Gott in einem Kind in der Krippe klein, schwach und ohnmächtig. Er kommt uns entgegen. Weihnachten, das ist das Fest des entgegenkommenden Gottes.
Advent ist daher auch die Zeit dieser Erschütterung, so sagt es der Jesuit und Priester Alfred Delp, den die Nazis am 2. Februar 1945 ermordet haben. Eine solche Erschütterung braucht offene Herzen. Die Adventszeit ist also auch die Einladung, mich und mein Herz zu öffnen, mich berührbar zu machen. Berührt von einem Gott, der mich liebt, ein Gott der mich will. Das Entscheidende ist vor mehr als 2000 Jahren längst geschehen, ob wir es sehen, hängt von unserem offenen Herzen ab. Dafür bedarf es eigentlich nicht viel: ein wenig Raum, ein wenig Zeit, in der die Sehnsucht wachsen darf, Stille, in der ich neu hören lernen kann, Lieder, von denen ich mich berühren lassen kann. Das heißt: Gott, diesem Geheimnis, einen Raum, eine Zeit geben – dieses Geheimnis in mein Leben hereinholen. Es ist kein Machen und Tun, was von uns verlangt wird, es ist eine andere Art zu sein. Warum? Vielleicht damit uns Menschen Flügel wachsen. Vielleicht ein Flügelschlag, der uns dem Geheimnis Gott näher bringt.
Der Weg zu diesem Gott führt immer über unsere Haltung zur Welt und anderen Menschen. Es liegt an uns, unsere Grenzen zu überwinden, indem wir etwa einem anderen die Hand zur Versöhnung reichen, in dem wir vergeben, in dem wir uns selbst zurücknehmen, in dem wir über unseren eigenen Schatten springen, indem wir über unsere Grenzen gehen, weil Gott über Grenzen geht.
Martin Kasperzyk/Dezember 2024