Eigene Traktate
Hier finden Sie Texte aus eigener Feder. Geschrieben sind diese zu unterschiedlichen Anlässen, mal kurz und bündig, mal etwas länger.
Vielleicht finden sie etwas inspirierendes für sich…
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Die Frauen von Trachis (Sophokles)
Eine gelungene Inszenierung in der Züricher Schiffbau-Box mit einer herausragenden Patrycia Ziółkowska als Deianeira
Die Zuschauer werden in den Theaterraum erst kurz vor Vorstellungsbeginn herein gelassen, denn die Schauspieler sind bereits alle auf der Bühne zunächst wie erstarrte Statuen präsent – und sie bleiben dort bis zum Schluss der zweistündigen Theateraufführung. Am Ende goutiert das Publikum die sehr gelungene Aufführung zu Recht mit lang anhaltendem Applaus.
Jossi Wielers Inszenierung verzichtet darauf, übermäßig modern daher zu kommen, um zwanghaft an einen heutigen gesellschaftlichen Diskurs anzuknüpfen. Gleichwohl ist das Stück überhaupt nicht bildungsbürgerlich verstaubt, auch wenn die Regie sich auf eine Neuübersetzung des Altphilologen Steinmann stützt, der sich nahe an den altgriechischen Originaltext hält.
In Sophokles‘ Frauen von Trachis wartet Deianeira zu Hause in Trachis mit ihren Kindern auf ihren Heldengatten Herakles, der selten zu Hause ist und seine Kinder sieht wie ein Bauer einen entfernten Acker: „einmal beim Sähen und einmal beim Ernten.“ Bei solchen Sätzen spürt man förmlich das verbreitete Schmunzeln der Theaterbesucher. Bevor der Held nach seinen Siegen draußen in der Welt nach Hause kommt, schickt er – unsensibel, wie er ist – dann schon mal die junge und schöne Iole (June Ellys Mach) vor, die er erst als Sklavin ausgeben lässt, bei der Deianeira aber rasch erkennt: das ist eine Konkurrentin und Zweitfrau. Ein Thema heute so aktuell wie damals vor 2.500 Jahren: der Schmerz und die Verletzung, die sich ehebrechende Partner zufügen.
Ein Theaterraum der Gegensätze
Gegensätzliche Welten: das wird dem Zuschauer in Muriel Gerstners Bühnenbild deutlich vor Augen geführt. Einerseits sehen wir die äußere Welt an den Rand gedrängt, kalt und erstarrt: der kahle Betonquader der Bühne bleibt offen sichtbar. Andererseits vermittelt der blaue Teppichboden sowie eine meterhohe biedermeierliche Holzkommode mit Schubladen in der Mitte der Bühne eine heimelige Wohlfühlatmosphäre, die aber nicht recht passt zu der Kälte der Welt. Der Überseecontainer in der Ecke dagegen wirkt wie geschrumpft. Die Gegensätze könnten kaum stärker ausfallen: hier die häusliche, auf ihren Ehemann Herakles wartende Deianeira, dort die äußere Welt der ständigen Kämpfe. Hier die verfallende Welt der Familie, dort die an den Rand gerückte und unwichtig gewordene äußere Welt.
Alles gerät ins Wanken
Die Welt gerät aus dem festen Gefüge, nichts bleibt wie es ist – und damit müssen alle Personen des Stücks auf ihre Weise fertig werden.
Judith Hofmann als Amme gibt ihrer Figur eine steife und erhabene Distanz, in ihrer eisernen Haltung beobachtet und kommentiert sie und hält die großbürgerliche Etikette hoch. Herakles‘ Bote Lichas (Matthias Neukirch) behauptet eine vielleicht allzu lässige Militärüberlegenheit, die sich schnell als fadenscheinig demaskiert. Katja Bürkle tritt als lauter Hyllos auf – mit der Hand in der Trainerhose und Cap – als typisch pubertärer Jugendlicher, der seine Unsicherheit zunächst mit Coolness übertüncht. Schnell packt ihn jedoch wilde Verzweiflung im Angesicht des Schreckens. Der Umsturz seiner Welt zerstört jede Sicherheit und Orientierung.
Die zentrale Figur ist Deianeira. Sie wird glänzend von der famosen Patrycia Ziółkowska gespielt. Deianeiras Kleider und ihr kluges und selbstbewusstes Auftreten vermittelt Klasse und Stil. Hier wartet kein Mütterchen zu Hause auf den erfolgreichen, fernbleibenden Ehemann, sondern eine gescheite Beobachterin erfasst da blitzschnell, was passiert. Sie weiß genau, wie ihr Mann mit ihr umgeht, sie sitzen lässt.
Locker, aber doch konzentriert und sehr selbstsicher, kommentiert sie schon zu Beginn – das Publikum fest im Auge – , die eigene Geschichte, wenn sie erklärt, „dass man keines Menschen Leben messen kann vor seinem Ende“. Diese Figur wirkt so stark, und sie endet trotzdem im Selbstmord. Gegenüber dem Schicksal unterliegt auch der Kluge und Selbstsichere – ob Frau (Deianeira) oder Mann (Herakles). Beide können als starke Menschen gegenüber dem stärkeren Schicksal nichts ausrichten.
Denn Herakles unterliegt einer Hinterlist, weil er ein mit Kentaurenblut getränktes Gewand entgegen nimmt, das ihn umbringen wird. Soll sich kein Mächtiger dieser Welt zu sicher wähnen, das Verderben kommt unverhofft und von einer Seite, von der man es nicht erwartet. Die weitblickende Deianeira dagegen unterliegt der Blindheit gegenüber diesem Kentaurenblut und der gesellschaftlichen Konvention, aus der sie sich nicht zu lösen vermag. Ihr Unbewusstes macht genau das falsche: sie versucht den Mann an sich zu binden. Ihre Tragik besteht im Nicht-Entkommen-Können trotz klarem analytischem Verstand. Auch sie, die Starke, hat blinde Flecken.
Der Anti-Held Herakles (Sebastian Rudolph) bleibt den ganzen Abend nackt und die meiste Zeit als abwesender Ehemann im Hintergrund. Diese Nacktheit und Ferne deutet sein Leben fern der Familie an, ein archaisches Leben ohne gesellschaftliche Rücksichtnahme. Sein großer Auftritt kommt erst nach knapp anderthalb Stunden. Siech, unentrinnbar dem Tod geweiht, schleppt er sich nach Hause – röchelnd und schreiend. Dabei transportiert der einst so strahlende Held sein Unverständnis, nicht im Kampf, sondern von der eigenen Frau hingemordet zu werden.
Und dann folgt noch ein von Rudolph, vielleicht doch zu dramatisch in Szene gesetzter Macho-Schluss, in dem der sterbende Vater dem zögernden Sohn das Versprechen abringt, dass er genauso gewaltsam-patriarchal weitermachen muss.
Hier deutet sich ein schlimmes Weiter-so an, das bis in unsere Tage anhält. Denn in einem Kampf um die Braut Deianeira (Brautagon) hatte einst Herakles gewonnen. Die hierin verborgene fatale Gewaltstruktur bringt kein dauerndes Glück hervor und schwelt im Untergrund weiter fort in einer Familie, die durch Exil, Krieg, Gewalt und einen ungezügelten Eros auseinanderfällt. Herakles wird als Held demontiert, denn er ist kein ruhmreicher Kriegsheimkehrer, sondern ein Zerstörer.
Nicht ohne Ironie ist es, dass das Fundament der durch Gewalt zustande gekommenen Ehe ausgerechnet eine Phiole mit dem Gift auch das Ende besiegelt.
Wielers Inszenierung führt uns luzide und hintergründig das Mörderische des patriarchalen Systems vor, in dem die Frauen und Kinder immer wieder Opfer sind. Doch es wäre allzu dürftig, wenn er es bei dieser einseitigen feministischen Sicht belassen würde. Krieg, sexualisierte und patriarchale Gewalt hinterlassen zwar seelische Wunden in den Menschen, die als Traumata von Generation zu Generation weitergegeben werden – bis heute. Die tiefere Bedeutung dieses Stücks liegt aber darin, dass selbst ein kühler analytischer Verstand, der alles im Griff zu haben meint, dem untergründig schwelenden Schicksal unterliegt.
Martin Kasperzyk im Januar 2025