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Carl Hanser Verlag

204 Seiten

Adam Zagajewski – Verteidigung der Leidenschaft

Die in diesem Buch versammelten Essais kann man einerseits als einfühlsame und wertschätzende Hommage des Autors an befreundete Menschen lesen: Jozef Czapski, Zbigniew Herbert oder Czeslaw Milosz. Für die meisten deutschen Leser dürfte jedoch etwas anderes wichtiger sein. Es sind dies  wesentliche Einsichten in das künstlerische Schaffen. Zagajewski kann hier aus seinem erfahrungsgesättigten Leben als Dichter schöpfen.

Am besten lässt sich dies an Platons Symposion mit Diotimas klassischer Rede über die vertikale Wanderung der Liebe verdeutlichen. Platon verwendet den Begriff metaxu, in dem das Dazwischen-Sein erfasst wird; ein Zwischenraum zwischen unserem gewöhnlichen Alltag und der aufregenden und erregenden Transzendenz und dem Geheimnis des Göttlichen. Beides ist notwendig. Nie können wir uns in der Transzendenz auf Dauer niederlassen. Diotima ermutigt uns zwar zu Recht, der Schönheit und Wahrheit entgegen zu gehen, doch wir müssen täglich wieder hinunter steigen in die Normalität. Wie Zagajewski es plastisch beschreibt: in den höchsten, schneebedeckten Alpenregionen wird sich niemand ansiedeln und dort länger seine Zelte aufschlagen. Nach der Epiphanie, nach der Niederschrift eines Gedichtes – so der Autor –  gehen wir in die Küche und überlegen, was wir zu Mittag kochen. So pendeln wir unablässig zwischen dem inspirierten Platon und dem sachlichen Aristoteles. Denn oben droht Wahnsinn und unten Langeweile. Wir befinden uns stets „dazwischen“ und permanent in Bewegung. Poesie versteht Zagajewski als diese Bewegung des „dazwischen“. Sie kann daher auch nicht unsere Alltagssprache sprechen, sondern sie bedient sich dabei eines „hohen Stils“, der aus dem permanenten Dialog zwischen dem Reich des Geistigen und unserem Alltag erwächst.

Herausragende Poesie berücksichtigt daher immer zwei Dinge: das, was ist, und wie wir Menschen sind, die Eitelkeit und Dummheit von uns selbst und unserer Nächsten, aber auch das Streben nach einer höheren Welt, einer höheren Ordnung. Es ist ein Konflikt zwischen der nie endgültig erfahrbaren Wahrheit und Schönheit, zwischen nüchterner Analyse und religiöser Verzückung, zwischen Denken und Inspiration. In Thomas Manns Zauberberg sieht Zagajewski diesen Zwiespalt auf die zwei Personen Naphta mit seiner metaphysischen Unruhe und dem erregenden philosophischen Schauer, den wir zuweilen bedürfen, und den braven Humanisten Settembrini aufgeteilt.

Die Poesie streckt sich also immer aus zu diesem inspirierten metaphysischen Geheimnis, sie ist verdammt dazu, mit dem Geheimnis zu leben, verdammt zu ewig anregender Ungewissheit. Angeregt zu Metaphern, die das lodernde Feuer des Geheimnisses stets umkreisen und am Leben erhalten.

Am Ende des Lebens weiß man dann zwar immer noch nichts. Es ist das Gefühl, dass das Geheimnis, welches die wichtigeren Dinge umschließt wie Zeit, Liebe, das Böse, das Schöne, die Transzendenz, jetzt, da man alt und erschöpft ist, noch ebenso unergründlich ist wie in stürmischer Jugend. Nichtwissen ist dann aber kein Zustand passiver Unwissenheit, sondern eher eine eigene geschaffene Atmosphäre, ein Denkraum. Es ist nicht das Wissen des schläfrigen Tölpel noch das Nichtwissen eines angeklagten Ministers. Das Gegenteil dieser sokratischen Atmosphäre ist das scheinbar sichere und durch Lebenserfahrung bestätigte Wissen der Alten, die sich in ihren kleinen Gewissheiten behaglich eingerichtet haben.

Für Zagajewski ist Kunst nicht denkbar ohne dieses Angetriebensein durch die Sehnsucht nach Größerem, nach Epiphanie, nach Ekstase und nach einem höheren Sinn. Im Gemälde „Die Mutter“ von Pieter de Hooch ist diese Sehnsucht des Künstlers im Mädchen, das im Hintergrund des Bildes steht, ausgedrückt. Indem sie im Licht steht und in den Lichteinfall schaut, steht sie im Banne eines Zaubers, der sie aus der realen Welt reißt. Dunkel erahnt sie ein ganz anderes Leben, eine transzendente Unendlichkeit, in der die ganze Wahrheit des Lebens steckt.

Es geht dem Künstler also immer um ein Gefühl der Nähe zu etwas, was nicht in Worte zu fassen ist. Aber der Poet versucht dies trotz alledem, indem er Gedichte schreibt, indem er eine Ganzheit der Welt dichtet, eine Welt, wo es Göttlichkeit und Schmerz, Verzweiflung und Freude in Eins gibt. Während die Profis unserer Welt nur ein einziges Thema glänzend beherrschen. Wie der Autor schön formuliert: Sie studieren das Feuer, beschreiben aber können Sie nur die Asche.

Im Januar 2025